Der Ring sah harmlos aus. Ein goldener Ring mit einem blauen Stein. Aber weder Frau Doktor Büchle noch Steni ahnten, dass sich in dem Ring jemand versteckt hatte: Lurs.
Frau Doktor Büchle sagte: »So, Steni, heute testen wir mal deine Rechtschreibung. Schreib’ bitte mal: Maiskolben.«
Steni hatte das Wort klar im Kopf – Buchstabe für Buchstabe.
Doch als er es schreiben wollte, wurde er abgelenkt.
Frau Doktor Büchles Finger klopfte auf den Tisch. Und, kaum zu glauben, aus dem Finger wuchs grässlich-hässlich eine Drachenkralle. Steni kniff sich fest in die Backe und zwinkerte heftig mit den Augen.
Aber die Kralle blieb. Schlimmer noch: Frau Büchles ganze Hand wurde zu einer grünen Monsterpranke. Nur der Rest von Frau Büchle war noch wie vorher.
Steni kaute nervös auf der Unterlippe. Verzweifelt bemühte er sich, das Wort richtig zu schreiben.
M e i ß k o b e l
Steni schielte zu Frau Doktor Büchle. Ach du Schreck, ihr Oberkörper wurde schuppig und schillerte grün.
Und ihr Gesicht! Das war gar nicht mehr freundlich.
Gerade verzog es sich zu einer Monsterfratze mit grellgelben Augen, die durch die Brille starrten, und – Steni hielt den Atem an – aus Frau Doktor Büchles Kopf wuchsen Hörner!
»Na, ich wusste doch, dass du es nicht kannst!«
Steni verstand die Welt nicht mehr. Die Therapeutin war immer so nett gewesen, hatte geholfen, wo sie konnte. Und seine Leistungen im Schreiben und Lesen waren immer besser geworden.
Na ja, nicht wirklich gut, aber klar besser. Und jetzt?
»Jetzt schreib: Morgenröte«, tönte das Monster.
Steni fiel der Stift aus der Hand.
Vor Entsetzen bekam er eine Gänsehaut.
Er musste etwas tun, bevor Frau Doktor Büchle völlig eins wurde mit Lurs.
Er durfte nicht aufgeben. Und er durfte das Monster nicht anstarren, es würde ihn hypnotisieren.
Steni schloss die Augen.
Da erinnerte er sich an ein Zaubergedicht, das Frau Doktor Büchle ihm beigebracht hatte:
Lurs besiegen, kannst du nie.
Lurs zu zähmen, ist das Ziel.
Doch auch ein Lürslein, dackelklein,
pinkelt dir sehr oft ans Bein.
Nimm’s mit Lächeln im Gesicht,
denn Menschen ohne Schwächen,
die gab es nie und gibt es nicht.
Steni griff beherzt zum Stift und schrieb: Morgenröthe
Zufrieden mit sich schielte er zu Frau Doktor Büchles Hand. Die Hand lag ruhig auf dem Tisch. An ihrem Finger der goldene Ring mit dem blauen Stein. In dem Ring saß Lurs. Seine winzigen Augen funkelten und schossen Blitze.
»Prima, Steni«, sagte die Therapeutin, »vor vier Wochen hast du statt Morgenröte noch Mogeltüte geschrieben.«