Auffälligkeiten in der frühkindlichen, vorschulischen Entwicklung können ein möglicher Hinweis auf spätere Lernprobleme sein.
Doch nicht jede Auffälligkeit muss zwangsläufig zu Lernschwierigkeiten führen. Nicht jedes Kind mit Sprachproblemen wird sich mit dem Lernen schwer tun, nicht jedes Kind, das ungern erzählt oder singt, bekommt mit dem Lesen und Schreiben Probleme.
Dennoch ist es hilfreich, die Entwicklung des Kindes mit wachem, nicht ängstlichem Blick zu begleiten. Im Folgenden umschreiben wir deshalb Fähigkeitsbereiche im Vor- und Grundschulalter, die besonders wichtig für den Erwerb der Schriftsprache sind:
Sprechen, Erfassen, Erzählen:
- fortschreitende Wortschatzentwicklung
- Erkennen und Bilden ähnlicher Sätze
- Schnelles Benennen von (Bild-)Objekten, Symbolen, Farben
- Erfassen und Fortsetzen von Bildergeschichten
Sehen, Erkennen, Verstehen:
- optische Unterscheidung von Symbolen, z.B. b und p
- Bedeutungsveränderung bei Drehung und Spiegelung von Symbolen, z.B. das Ziffernsymbol "3" und der Buchstabe "E"
- Bilder nach Kategorien (Farben, Formen, Größen u.a.) ordnen
- Einhaltung der Rechts-Links-Orientierung (kulturell bedingte Lese- und Schreibrichtung)
- Unterscheiden von Bildern, Buchstaben, Ziffern, Icons, Logos etc.
- Fortsetzung von Mustern
Hören und Formulieren:
- Erkennen unterschiedlicher Laute in Wörtern, z.B. Tanne - Kanne
- Unterscheiden von Reimen und Nicht-Reimen
- Erkennen von Quatschwörtern
- Unterteilung von Wörtern in Silben
- Nachsprechen von "Zungenbrechern"
Falls Ihr Kind in diesen Bereichen deutliche Schwierigkeiten hat, sprechen Sie mir Ihrer Kindergärtnerin, Ihrem Kinderarzt oder Ihrer Lehrerin. Gemeinsam können Sie sicher einen Weg finden, um die Situation für Ihr Kind zu verbessern.
Förderung einzelner Vorläuferfähigkeiten oder umfassende Unterstützung der Sprachbewusstheit?
Kinder entwickeln also schon vor dem gesteuerten Schriftspracherwerb in der Grundschule bestimmte schriftsprachliche Kompetenzen. So entsteht eine sich herausbildende Lese- und Schreibfähigkeit, deren Ausbildung durch eine anregende und Schriftsprache weckende Lernumgebung geschaffen und gefördert wird.
Eine Sprachbewusstheit zu entwickeln, heißt nicht nur, Sprache produzieren oder aufnehmen zu können, sondern auch über Sprache nachzudenken, ihre Struktur analysieren und hinterfragen zu können – also reflektiert mit Sprache umgehen zu können.
Bei einer Fokussierung auf das weit verbreitete Konzept der sogenannten "phonologischen Bewusstheit" besteht die Gefahr, andere wichtigere Bereiche des Schriftspracherwerbs zu vernachlässigen. Valtin (2012) spricht sich daher aus pädagogischer und sprachdidaktischer Sicht gegen ein isoliertes phonologisches Funktionstraining im Vorschulalter aus und bevorzugt:
- eine umfassende Sprachförderung (Wortschatz, Grammatik, Erzählen, Rollen- und Phantasiespiele)
- spielerische Erfahrungen mit Schrift und Schriftsprache, die konzeptionelle Schriftlichkeit durch Vorlesen und den Umgang mit Büchern (und damit auch die Motivation zum Lesenlernen) fördern
- Anleitung zur Vergegenständlichung von Sprache durch spielerische Übungen (Zungenbrecher, Silbenklatschen, Reime bilden) und Lernen von Gedichten
Valtin, R. (2012): Phonologische Bewusstheit – eine notwendige Voraussetzung beim Lesen- und Schreibenlernen? (Link zum Beitrag bei leseforum.ch)
Füssenich, I. (2012) "Gibt es Vorläuferfähigkeiten beim Schriftspracherwerb? Vom Sprechen zur Schrift beim Übergang von der KITA in die Schule" (in: mitSPRACHE 3/12; Österreichische Gesellschaft für Sprachheilpädagogik) Download mit freundlicher Genehmigung Autorin / Verlag.